von Dr. Jan Finzel, Rechtsanwalt u. Fachanwalt für Versicherungsrecht
In einer aktuellen Entscheidung hat der Bundesgerichtshof Stellung zu vielen Fragen im Zusammenhang mit dem Nachprüfungsverfahren bei Berufsunfähigkeits- bzw. Berufsunfähigkeitszusatzversicherungen bezogen. Hier kommt es immer wieder zu Diskussionen zwischen Versicherern und Versicherungsnehmern, welche Voraussetzungen an die Verweisungstätigkeit zu stellen sind.
Hintergrund
Wenn ein Versicherungsunternehmen die Berufsunfähigkeit des Versicherungsnehmers einmal anerkannt hat, kann das Unternehmen die Leistungen erst dann einstellen, wenn es ein sog. Nachprüfungsverfahren durchführt. So kommt es vor, dass der Versicherungsnehmer zwischenzeitlich eine neue Tätigkeit ausübt, auf die der der Versicherer den Versicherungsnehmer nun verweisen möchte. Dann muss jedoch die neue Tätigkeit der bisherigen Lebensstellung des Versicherungsnehmers entsprechen, mit anderen Worten: die neue berufliche Tätigkeit darf weder deutlich geringeren Kenntnisse und Fähigkeiten erfordern noch darf sie in ihrer Vergütung sowie in ihrer sozialen Wertschätzung „spürbar“ unter das Niveau des bislang ausgeübten Berufs absinken.
Der vom BGH entschiedene Fall
Zunächst zum Sachverhalt des vom BGH entschiedenen Falls: eine Versicherte arbeitete als Krankenschwester bei einem ambulanten Pflegedienst im Bereich der stationären und ambulanten Betreuung von pflegebedürftigen Personen. Die Arbeitszeit betrug 40 Stunden pro Woche, das Gehalt brutto durchschnittlich 1.359,31 EUR. Nachdem sie mehrere Bandscheibenvorfälle erlitt, erkannte das Versicherungsunternehmen die Berufsunfähigkeit der Versicherten an.
Es verging einige Zeit, bis die die Versicherte wieder anfing zu arbeiten. Sie nahm eine Tätigkeit als Krankenschwester auf, allerdings mit lediglich administrativen und unterstützenden Tätigkeiten ohne körperliche Belastungen. Die Arbeitszeit betrug 30 Stunden pro Woche, das Gehalt brutto 1.050,00 EUR.
Als der Versicherer dies erfuhr, stellte er die Berufsunfähigkeitsleistungen ein mit der Begründung, die neue Tätigkeit entspreche der bisherigen Lebensstellung der Versicherten, und sie sei daher nicht mehr berufsunfähig.
Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs
Nach Auffassung des Bundesgerichtshofs hat der Versicherer den Wegfall der Berufsunfähigkeit nicht nachgewiesen. Es fehle vor allem am Nachweis, dass die neue Tätigkeit der bisherigen Lebensstellung der Versicherten entspreche. Der BGH konkretisiert die Anforderungen an die Verweisungstätigkeit wie folgt:
1. Maßgeblich für die Frage, ob das Einkommen aus der neuen Tätigkeit vergleichbar ist mit dem aus der früheren Tätigkeit erzielten Einkommen, bleibt das tatsächlich aus der Teilzeittätigkeit erzielte Einkommen. Es ist also nicht etwa der Verdienst, den die Versicherte nun im Rahmen der 30-Stunden-Woche erzielt, auf eine 40-Stunden-Woche hochzurechnen.
2. Der BGH führt außerdem aus, dass die Frage, ob ein „spürbares“ Absinken der Vergütung vorliegt, nicht generell in Prozentzahlen zu beantworten ist. Zwar gelte als Richtwert, dass eine Einkommenseinbuße von mehr als 20 Prozent unzumutbar ist. Jedoch handelt es sich hierbei nicht um eine starre Grenze, da sich prozentuale Einkommens- und Gehaltsminderungen unterschiedlich auswirken, je nachdem, wie hoch das bisherige Gehalt war.
3. Die Frage, ob es zum Vergleich des Lohns, der in gesunden Tagen erzielt wurde, mit dem heutigen Einkommen erforderlich ist, das frühere Einkommen fortzuschreiben, lässt der BGH offen. Leider hatte die Versicherte nicht konkrete Ausführungen dazu gemacht, was sie heute verdienen würde, wenn sie immer noch ihrer früheren Tätigkeit nachginge.
4. Im übrigen entschied der Bundesgerichtshof, es sei unerheblich, dass die Versicherte heute mehr Freizeit habe und keine Nachschichten mehr ausüben müsse. Hierdurch wird der Einkommensverlust nicht ausgeglichen. Der BGH wörtlich: „Von der zusätzlich gewonnenen Freizeit kann der Unterhalt nicht bestritten werden.“
BGH, Urt. v. 07.12.2016, IV ZR 434/15
Rechtsanwalt und Fachanwalt für Versicherungsrecht Dr. Finzel