von Dr. Jan Finzel, Rechtsanwalt u. Fachanwalt für Versicherungsrecht
Der Geschädigte eines Kfz-Unfalls kann frei entscheiden, ob er sein Fahrzeug selbst, durch eine Vertragswerkstatt oder gar nicht repariert. Erfolgt keine Reparatur oder sind die tatsächlich angefallenen Kosten geringer als die üblichen Reparaturkosten, stellt sich die Frage, in welchem Umfang der Geschädigte Schadensersatz verlangen kann.
Zunächst sind in einem ersten Schritt die Reparaturkosten, der Wiederbeschaffungswert (= Marktwert des Kfz vor dem Unfall) sowie der Restwert des verunfallten Kfz zu ermitteln. Dies geschieht in der Regel durch einen Sachverständigen, den der Geschädigte frei wählen darf. Je nach Höhe der Positionen kommt es in einem weiteren Schritt dann darauf an, ob der Wagen repariert wird. Folgende Konstellationen sind möglich:
1. Reparaturkosten höher als 130% des Wiederbeschaffungswerts
Sind die Reparaturkosten nach dem vom Geschädigten einzuholenden Sachverständigengutachten höher als 130% des Wiederbeschaffungswerts, erhält der Geschädigte lediglich den Wiederbeschaffungswert und muss sich den Restwert des verunfallten Kfz hierauf anrechnen lassen (Totalschaden-Abrechnung).
Die 130%-Grenze ist sozusagen die Schallmauer: liegen die Reparaturkosten laut Sachverständigengutachten mehr als 30% über dem Wiederbeschaffungswert, kann der Geschädigte nicht allein deshalb auf Reparaturkostenbasis abrechnen, weil infolge einer Rabattgewährung der Rechnungsendbetrag die 130%-Grenze nicht überschreitet (BGH VI ZR 79/10).
Nach neuerer Rechtsprechung (BGH VI ZR 231/09) gilt allerdings eine Ausnahme für den Fall, dass es dem Geschädigte gelingt, das Kfz – ggfls. mit eigener Arbeit bzw. unter Verwendung von Alt-Teilen – fachgerecht und den Vorgaben des Sachverständigen entsprechend zu reparieren: wenn die insoweit entstehenden Reparaturkosten den Wiederbeschaffungswert nicht übersteigen, muss der Schädiger diese ersetzen. Er kann den Geschädigten dann also nicht auf eine Abrechnung “Wiederbeschaffungswert abzüglich Restwert” verweisen.
2. Reparaturkosten zwischen 100% und 130% des Wiederbeschaffungswerts
Der Geschädigte erhält die vollen Reparaturkosten nur dann ersetzt, wenn er das Fahrzeug reparieren lässt und es – nach neuerer Rechtsprechung: für mehr als 6 Monate (BGH, VersR 2008, 937; 2008, 134, 135; OLG Düsseldorf, Beschluss v. 3.3.2008, I-1 W 6/08) – weiter nutzt.
Tut er dies nicht, erhält er den Wiederbeschaffungswert und muss sich einen etwaigen Restwert für das verunfallte Fahrzeug anrechnen lassen (Totalschaden-Abrechnung).
3. Reparaturkosten zwischen Wiederbeschaffungswert und Differenz „Wiederbeschaffungswert abzüglich Restwert“
Bei Reparatur des Kfz erhält der Geschädigte die vollen Reparaturkosten ersetzt, unabhängig davon, ob er das Fahrzeug danach noch nutzt oder weiterverkauft (BGH, Urt. v. 05.12.2006, AZ: VI ZR 77/06).
Nach einem weiteren Urteil des BGH (Urt. v. 23.05.2006, Az.: VI ZR 192/05) erhält der Geschädigte die Reparaturkosten aber auch dann, wenn er das Fahrzeug – ggfls. unrepariert – für mindestens 6 Monate weiternutzt. Im letzteren Falle kann er den im Sachverständigengutachten oder Kostenvoranschlag ausgewiesenen Nettobetrag der Reparaturkosten verlangen.
4. Reparaturkosten geringer als Differenz „Wiederbeschaffungswert abzüglich Restwert“
Der Geschädigte erhält die Reparaturkosten ersetzt – bei Reparatur voll, ansonsten grundsätzlich nur den Nettobetrag.
Wenn der Geschädigte den Unfallwagen nicht repariert, aber eine Ersatzbeschaffung zu einem Preis oberhalb der Brutto-Reparaturkosten durchführt, kann er Ersatz des Umsatzsteuerbetrags aus den voraussichtlichen Reparaturkosten verlangen, soweit bei der Ersatzbeschaffung Umsatzsteuer angefallen ist (BGH, Urt. v. 5.2.2013, Az: VI ZR 363/11).
Dr. Finzel, Rechtsanwalt / Fachanwalt für Versicherungsrecht